Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen nach französischem Recht – Ein Überblick nach der Reform Macron
Das französische Arbeitsrecht unterscheidet sich gravierend vom deutschen Arbeitsrecht. Dies gilt insbesondere auf dem Gebiet der Beendigung von Arbeitsverhältnissen, wo größte Vorsicht geboten ist. Hinzu kommt, dass durch die sog. „Macron Reform“ aus dem Jahr 2017 das französische Arbeitsrecht grundlegend reformiert und wortwörtlich eine „kleine Revolution“ ausgelöst wurde. Gestützt wurde die Reform auf fünf Verordnungen, die am 24.9.2017 in Kraft getreten sind. Diese Verordnungen wurden am 20.12.2017 und letzt- malig am 29.3.2018 geändert. Die Leitgedanken der Reform waren dabei die Erhöhung sowohl der Flexibilität als auch der Attraktivität des Standortes Frankreich gegenüber Investoren und Großkonzernen. Weitgehende Erneuerungen fanden auch auf kollektivrechtlicher Ebene und im Kündigungsschutz statt. Durch die Reform sollen nunmehr insbesondere die bislang schwer überschaubaren finanziellen Folgen von ungerechtfertigten Kündigungen abschätzbar sein. Die maßgeblichen Bestimmungen finden sich im französischen Arbeitsgesetzbuch (Code du travail). Mit diesem Beitrag sollen die Grundzüge des französischen Kündigungsrechts (I.) geschildert und wichtige Unterschiede zum deutschen Recht hervorgehoben werden. Dazu werden das Kündigungsverfahren, die Kündigungsgründe sowie die Rechtsfolgen bei gerechtfertigter und ungerechtfertigter Kündigung vorgestellt. Anschließend beschäftigt sich dieser Beitrag mit dem Aufhebungsvertrag nach französischem Recht (II.) sowie mit dem neuen Instrument der kollektiven Aufhebungsvereinbarung (III.) und schließt mit einem Ausblick auf die aktuellen Rechtsfragen (IV.) ab.
I. Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung
Die nachstehenden Regelungen gelten sowohl für Kündigungen aus persönlichen als aus wirtschaftlichen Gründen ab dem ersten Tag der Beschäftigung und unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten im Betrieb. In der Probezeit (deren Dauer sich nach der Gruppenzuordung des Arbeitnehmers und dem anwendbaren Tarifvertrag richtet) darf aber der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer ohne Grund kündigen.
A. Formelles Verfahren
- Vorgespräch
Zur Einleitung des Kündigungsverfahrens hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu einem Vorgespräch (entretien préalable) zu laden. Die Ladung ist gegen Empfangsbekenntnis auszuhändigen oder per Einschreiben mit Rückschein zuzustellen. Zwischen der Zustellung der Ladung und dem Abhalten des Vorgesprächs ist eine Frist von fünf Werktagen zwingend einzuhalten. Der Arbeitnehmer darf in Begleitung eines anderen Arbeitnehmers oder eines Belegschaftsvertreters (bis zum 31.12.2019 noch: délégué du personnel bzw. Mitglied des comité d’entreprise, ab dem1.1.2020: Mitglied des comité social et économique) erscheinen. Besteht kein Belegschaftsvertreter im Betrieb, darf er einen staatlich zugelassen Berater (conseiller du salarié) hinzuziehen. Die Liste der örtlich staatlich zugelassenen Berater ist in jedem Rathaus erhältlich.
- Kündigungsschreiben
Beim Kündigungsgespräch sind dem Arbeitnehmer die beabsichtigten Kündigungsgründe mitzuteilen. Ihm steht ein Anhörungsrecht zu. Der Arbeitgeber darf lediglich erklären, dass er den Ausspruch einer Kündigung in Erwägung zieht. Die Entscheidung des Arbeitgebers soll erst im Anschluss an das Gespräch fallen.
Eine Kündigung aus personen- bzw. verhaltensbedingtem Grund darf frühestens zwei Werktage und maximal einen Monat nach dem Vorgespräch ausgesprochen werden. Die Kündigungserklärung hat per Einschreiben mit Rückschein zu erfolgen. Der im Kündigungsschreiben niedergelegte Sachverhalt bestimmt abschließend den Streitgegenstand des Kündigungsprozesses. Daraus folgt, dass bei der Verfassung des Kündigungsschreibens stets äußerste Sorgfalt und Genauigkeit geboten sind. Durch die Reform Macron wurden die Anforderungen an das Kündigungsschreiben allerdings gelockert (Art. L. 1235-2 des franz. Arbeitsgesetzbuches). Der Arbeitgeber darf nunmehr einen im Kündigungsschreiben genannten Kündigungsgrund nachträglich entweder auf eigene Initiative oder auf Aufforderung des Arbeitnehmers präzisieren. Ein Nachschieben von gänzlich neuen Gründen kennt das französische Arbeitsrecht zwar auch nach der Reform Macron nicht, aber dafür wurde das Nachschieben von Erklärungen eines bereits genannten Kündigungsgrundes ermöglicht.
- Anhörung der betrieblichen Vertretung (comité social et économique)
Nur bei Kündigungen von Belegschaftsvertretern und bei Kündigungen aus wirtschaftlichen Gründen von mindestens zehn Mitarbeitern ist die betriebliche Vertretung (bis zum 31.12.2019 noch: comité d’entreprise, ab dem 1.1.2010: comité social et économique) anzuhören (sie hat jedoch kein Vetorecht). Ab dem 1.1.2020 ist eine betriebliche Vertretung in Betrieben mit in der Regel mindestens 11 Arbeitnehmern zu errichten. Bei einer Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen von mindestens zehn Arbeitnehmern innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen ist bei Unternehmen mit mindestens 50 Arbeitnehmern ein Sozialplan (plan de sauvegarde de l’emploi) zu erstellen. Im Hinblick auf den Inhalt eines solchen Plans hat der Arbeitgeber mit den Gewerkschaften und mit der örtlich zuständigen Arbeitsaufsichtsbehörde (Direction Régionale des Entreprises, de la Concurrence, de la Consommation, du Travail et de l’Emploi) zu verhandeln.
B. Kündigungsfrist
Die Dauer der Kündigungsfrist ergibt sich grds. aus dem Tarifvertrag. Tarifverträge sind in Frankreich fast immer für allgemeinverbindlich erklärt worden. Die Dauer der Kündigungsfrist richtet sich nach der jeweiligen Gruppenzuordnung des Arbeitnehmers. Das französische Recht kennt drei Gruppen: Arbeiter (ouvriers), technische Arbeitnehmer (techniciens, agents de maîtrise), leitende Angestellte sowie Ingenieure (cadres et ingénieurs). Die Kündigungsfrist kann je nach Tarifvertrag, Einstufung und Dauer der Betriebszugehörigkeit von einem bis zu drei Monaten variieren. Während der Kündigungsfrist darf der Arbeitgeber den Mitarbeiter freistellen. Offene Urlaubstage dürfen aber nur mit Zustimmung des Arbeitnehmers angerechnet werden.
C. Kündigungsgründe
Nach französischem Recht kann eine Kündigung entweder auf persönliche (licenciement pour faute) oder auf wirtschaftliche Gründe (licenciement pour motif économique) gestützt werden.
- Kündigung aus persönlichen Gründen
Das Gesetz enthält keine Auflistung der persönlichen Kündigungsgründe. Als Kündigungsgründe kommen z.B. in Betracht: schlechte Leistung (insuffisance professionnelle),
- Arbeitsunfähigkeit (inaptitude physique), soweit der Betriebsarzt die Unfähigkeit für die Arbeitsstelle festgestellt hat und keine weitere Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb besteht,
- dauerhafte Abwesenheit (ggfs. krankheitsbedingt), soweit dadurch die Betriebsorganisation erheblich beeinträchtigt wird und die Einstellung einer Vertretung erforderlich ist,
- Pflichtverletzungen aus dem Arbeitsverhältnis. Je nach Schwere des Verschuldens ist eine ordentliche Kündigung (licenciement pour cause réelle et sérieuse) oder eine außerordentliche Kündigung wegen schwerwiegenden Fehlverhaltens (licenciement pour faute grave) oder eine außerordentliche Kündigung wegen Schädigungsabsicht (licenciement pour faute lourde) auszusprechen.
- Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen
Eine Kündigung kann auf wirtschaftliche Gründe (licenciement pour motif économique) gestützt werden. Die entsprechenden Gründe sind in Art. L. 1233-3 des franz. Arbeitsgesetzbuches detailliert aufgelistet:
- wirtschaftliche Schwierigkeiten: Verluste, deutlicher Umsatzrückgang, Cash-Flow Probleme,
- Auswirkung von technologischen Veränderungen,
- Unternehmensumstrukturierung/neue Betriebsorganisation zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens,
- Betriebseinstellung
Diese Gründe sind von der Rechtsprechung konkretisiert worden: Technologische Veränderungen und Unternehmensumstrukturierung/neue Betriebsorganisation sind in der Praxis seltene Kündigungsgründe. Die Absicht, durch Arbeitnehmerentlassungen den Gewinn zu maximieren oder nur die Kosten zu senken, ist kein ausreichender Kündigungsgrund. Wird bspw. die Produktion eingestellt, der Vertrieb oder die Kundendienstabteilung jedoch fortgeführt, ist laut Rechtsprechung dafür kein wirtschaftlicher Kündigungsgrund gegeben.
Das Vorliegen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten stellt somit den wichtigsten und gängigsten Kündigungsgrund dar. Die Beurteilung des Vorliegens eines wirtschaftlichen Grundes richtet sich zum einem nach der Unternehmensgröße und zum anderen nach der Dauer der konkreten Schwierigkeiten. Gem. Art. L. 1233-3 des franz. Arbeitsgesetzbuches sind die Unternehmenszahlen mit denen aus derselben Periode desVorjahrs zu vergleichen. Demnach sind die erforderlichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten gegeben, soweit ein Auftrags- bzw. Umsatzrückgang im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnet, ist und dieser Rückgang mindestens:
- ein Quartal bei Unternehmen mit weniger als 11 Arbeitnehmern,
- zwei aufeinander folgende Quartale bei Unternehmen mit mehr als 11 Arbeitnehmern, jedoch weniger als 50 Arbeitnehmern,
- drei aufeinanderfolgende Quartale bei Unternehmen mit mehr als 50 Arbeitnehmern, jedoch weniger als 300 Arbeitnehmern,
- vier aufeinander folgende Quartale bei Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern andauert.
Die Reform Macron hat den geografischen Maßstab für die Beurteilung von wirtschaftlichen Schwierigkeiten eingeschränkt: während bislang das Vorliegen von wirtschaftlichen Schwierigkeiten innerhalb der betroffenen Sparte auf der ganzen Konzernebene und somit weltweit vorzunehmen war, findet jetzt eine Beurteilung nur noch bezüglich der Betriebe mit Sitz in Frankreich statt. Auch die Weiterbeschäftigungspflicht wurde eingeschränkt. Sie gilt nicht mehr welt-, sondern nur noch frankreichweit.
D. Rechtsfolge bei gerechtfertigter Kündigung
Im Unterschied zum deutschen Recht steht jedem Arbeitnehmer im Falle einer ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber – gleich ob die Kündigung sozialwidrig oder rechtmäßig ist – nach französischem Arbeitsrecht ein Abfindungsanspruch zu. Die Höhe der gesetzlichen Abfindung wurde durch die Reform Macron nach oben revidiert. Diese beträgt nunmehr:
Dauer der Betriebszugehörigkeit |
Höhe der gesetzlichen |
< 8 Monate |
0 |
8 Monate bis 10 Jahre |
1/4 pro Jahr der Betriebszugehörigkeit |
> 10 Jahre |
1/3 pro Jahr der Betriebszugehörigkeit ab dem 10. Jahr |
Berechnungsgrundlage ist der Durchschnitt der letzten 12 bzw. 3 Bruttomonatsgehälter, je nachdem, was für den Arbeitnehmer günstiger ist. Jeder volle Monat der Betriebszugehörigkeit berechtigt zu 1/12 der gesetzlichen Abfindung. Enthält der Tarifvertrag eine günstigere Regelung für die Abfindung, hat diese Vorrang (Günstigkeitsprinzip). Die Abfindung ist bis zu einem Betrag i.H.v. EUR 81.048,00 (Stand: 2019) sozialversicherungsfrei und bis zu einem Betrag i.H.v. EUR 243.144,00 (Stand: 2019) einkommensteuerfrei.
E. Rechtsfolge bei ungerechtfertigter Kündigung
- Anspruch auf Entschädigung
Ist eine Kündigung ungerechtfertigt (licenciement sans cause réelle et sérieuse), bleibt sie – im Unterschiedzum deutschen Recht – grundsätzlich wirksam. Ein Weiterbeschäftigungsanspruch sieht das Gesetz nur in den wenigen Fällen einer Nichtigkeit der Kündigung – insbesondere beim Verstoß gegen Grundrechte – vor (Art. L. 1235-3-1 des franz. Arbeitsgesetzbuches). Das Arbeitsverhältnis endet daher grds. mit Wirkung zum Ablauf der Kündigungsfrist. Dem Arbeitnehmer steht aber eine Entschädigung zu, die zu der gesetzlichen bzw. tariflichen Abfindung hinzukommt. Vor den Macron Verordnungen stand die Höhe dieser Entschädigung im Ermessen der Gerichte. Vor diesem Hintergrund war es Arbeitgebern kaum möglich, das Kostenrisiko im Falle einer ungerechtfertigten Kündigung einzuschätzen. Es bestanden auch erhebliche regionale Unterschiede. Der neue Art. L. 1235-3 des franz. Arbeitsgesetzbuches enthält nunmehr eine Tabelle (sog. „Macron Tabelle“), welche je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit und Größe des Unternehmens Mindest- und Höchstbeträge für den Entschädigungsanspruch vorsieht.
Dauer der Betriebszugehörigkeit (volle Jahre) |
Mindestentschädigung (Bruttomonatsgehalt) |
Höchstentschädigung (Bruttomonatsgehalt) |
|
≥ 11 AN |
< 11 AN |
||
0 |
irrelevant |
1 |
|
1 |
1 |
0,5 |
2 |
2 |
3 |
0,5 |
3,5 |
3 |
3 |
1 |
4 |
4 |
3 |
1 |
5 |
5 |
3 |
1,5 |
6 |
6 |
3 |
1,5 |
7 |
7 |
3 |
2 |
8 |
8 |
3 |
2 |
8 |
9 |
3 |
2,5 |
9 |
10 |
3 |
2,5 |
10 |
11 |
3 |
10,5 |
|
12 |
3 |
11 |
|
13 |
3 |
11,5 |
|
14 |
3 |
12 |
|
15 |
3 |
13 |
|
16-18 |
3 |
Jeweils + 0,5 |
|
29 |
3 |
20 |
|
30 und mehr |
3 |
20 |
Insgesamt ist festzuhalten, dass durch die Einführung einer Deckelung die Höhe der Entschädigung jetzt oft geringer ausfällt als vor der Reform.
- Klageverfahren
Ansprüche aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (insb. Entschädigungsansprüche) verjähren nach 12 Monaten ab Zustellung des Kündigungsschreibens. Die Frist gilt unabhängig vom Kündigungsgrund und der Vertragsart (befristet / unbefristet). Die Klage ist vor dem franz. Arbeitsgericht (Conseil de Prud’hommes) zu erheben. Die Parteien können den Rechtsstreit selbst führen, was allerdings in der Praxis nur selten vorkommt. Das Arbeitsgericht ist ein aus ehrenamtlichen Richtern besetztes Gericht. Es findet zunächst ein Gütetermin statt, bei dem – im Unterschied zum deutschen Recht – das Gericht nur feststellt, ob Vergleichsbereitschaft besteht. In der Sache wird nicht verhandelt. Findet keine Einigung statt, wird eine Hauptverhandlung anberaumt. Das Arbeitsgericht ist dann mit vier ehrenamtlichen Richtern besetzt, wobei zwei aus der Sphäre der Arbeitgeber und zwei aus der Sphäre der Arbeitnehmer stammen. Bei fehlender Mehrheit entscheidet ein Berufsrichter (Juge départiteur) aus dem örtlich zuständigen Landgericht (Tribunal de grande instance). Die Verfahrensdauer kann je nach Auslastung der Arbeitsgerichte stark variieren: von sechs Monaten bis zu 24 Monaten bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung. Gerichtskosten gibt es nicht. Die außergerichtlichen Kosten trägt jede Partei selbst. Nur ein symbolischer Kostenausgleich sowie die Erstattung von Auslagen zugunsten der obsiegenden Partei wird vom Gericht ausgesprochen (Art. 700 des franz. Zivilprozessbuches / Code de procédure civile).
II. Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Abschluss eines Aufhebungsvertrages
Wer einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat, kann ihn auch einvernehmlich wieder aufheben. Dieser Grundsatz gilt im französischen Arbeitsrecht allerdings erst seit 2008. Der Aufhebungsvertrag (sog. rupture conventionnelle homologuée) wurde nämlich durch eine Gesetzesänderung vom 25.6.2008 in das französische Arbeitsgesetzbuch eingeführt. In den letzten Jahren hat sich dieses Instrument der Vertragsbeendigung durchgesetzt. Im Jahr 2017 wurden ca. 10 % aller Vertragsbeendigungen durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages herbeigeführt. Der Aufhebungsvertrag ist in den Art. L. 1237-11 ff. des franz. Arbeitsgesetzbuches geregelt. Ein Aufhebungsvertrag darf ab dem ersten Tag der Beschäftigung und unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten im Betrieb abgeschlossen werden. In der Praxis kommt er nach Ablauf der Probezeit zur Anwendung.
A. Vorgespräch
Im Unterschied zum deutschen Recht unterliegt der Abschluss des Aufhebungsvertrages insoweit einem strengen Verfahren:
In der Praxis wird die Vertragsaufhebung von einer Partei vorgeschlagen. Es folgen dann ein oder mehrere Vorgespräche (entretien préalable), im Rahmen derer die Modalitäten der Vertragsaufhebung konkretisiert werden. Die Organisation dieser Vorgespräche ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. In der Praxis reicht es aus, ein Treffen zu vereinbaren, wobei berücksichtigt werden muss, dass der Zeitpunkt dieses Treffen so festgelegt wird, dass beide Parteien ausreichend Zeit haben, sich darauf vorzubereiten. Im Rahmen dieser Vorgespräche haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Möglichkeit, in Begleitung einer Person (nicht mit einem Anwalt) zu erscheinen. Bei dem Vorgespräch geht es im Wesentlichen um die Festlegung des Zeitpunkts der Vertragsaufhebung sowie die Höhe der dem Arbeitnehmer zu zahlenden Abfindung.
B. Mindestabfindung
Im Rahmen eines Aufhebungsvertrages hat der Arbeitnehmer Anspruch auf die gesetzliche bzw. tarifliche Abfindung für den Fall der ordentlichen Kündigung. In der Praxis wird zwischen den Parteien oft eine höhere Abfindung ausgehandelt.
C. Widerrufsfrist
Kommt eine Einigung zustande, ist das amtliche Formular „Cerfa 14598“ dreifach auszufüllen. Gründe für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses sind nicht anzugeben. Jeder Partei steht dann ein 15-tägiges Widerrufsrecht ab Unterzeichnung des amtlichen Formulars zu (Art. L. 1237-13 des franz. Arbeitsgesetzbuches). Der Widerruf ist schriftlich zu erklären. Im Falle des Widerrufs durch eine der Parteien wird der Arbeitsvertrag weiterhin fortgeführt.
D. Genehmigungsverfahren
Nach Ablauf der Widerrufrist ist der örtlich zuständigen französischen Arbeitsaufsichtsbehörde ein Originalexemplar des Formulars zukommen zu lassen.
Die Arbeitsaufsichtsbehörde verfügt über eine Prüfungsfrist von 15 Werktagen ab Zugang des Antrags. Geprüft wird insbesondere die Höhe der auszuzahlenden Abfindung, das beabsichtigte Datum der Vertragsaufhebung, das Datum und die Unterzeichnung des Aufhebungsvertrages sowie die Einhaltung der Widerrufsfrist. Äußert sich die Arbeitsaufsichtsbehörde nicht innerhalb der Frist, gilt die Genehmigung (Homologation) als erteilt.
Für Arbeitnehmer, die über einen besonderen Kündigungsschutz verfügen (bspw. Belegschaftsvertreter), gilt ein Sonderverfahren vor der Arbeitsaufsichtsbehörde.
E. Aufhebung des Arbeitsvertrages
Die Erteilung der Genehmigung durch die französische Arbeitsaufsichtsbehörde führt in erster Linie zur Aufhebung des Arbeitsvertrages zum vorgesehenen Zeitpunkt, frühestens jedoch zu dem auf die Erteilung der (ausdrücklichen oder konkludenten) Genehmigung folgenden Tag. Angesichts der Widerrufs- und Genehmigungsfrist erfolgt die Vertragsaufhebung grds. etwa 45 Tage nach Unterzeichnung des amtlichen Formulars. Der Arbeitnehmer hat anschließend Anspruch auf Arbeitslosengeld (ggfs. nach Ablauf einer Karenzzeit).
Die Abfindung ist bis zur Höhe der gesetzlichen bzw. tariflichen Abfindung frei von der CSG (allgemeiner Sozialbeitrag) und CRDS (Beitrag zur Abtragung der Sozialversicherungsschulden). Bis zu einem Betrag i.H.v. EUR 81.048,00 (Stand: 2019) unterliegt die gezahlte Abfindung einer Sozialsteuer (forfait social) i.H.v. 20 %, die vom Arbeitgeber zu zahlen ist. Bis zu diesem Betrag ist sie jedoch sozialversicherungsfrei. Bis zu einem Betrag i.H.v. EUR 243.144,00 (Stand: 2019) ist sie einkommensteuerfrei.
III. Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch kollektive Aufhebungsvereinbarung
Bei der kollektiven Aufhebungsvereinbarung (rupture conventionnelle collective) handelt es sich um ein durch die Reform Macron neu eingeführtes Instrument der Vertragsbeendigung (Art. L. 1237-19 ff. des franz. Arbeitsgesetzbuches), welches dazu dienen soll, den Kündigungsschutz zu lockern. Für den Arbeitgeber ist es nunmehr möglich, unabhängig von der wirtschaftlichen Situation seines Unternehmens die Mitarbeiterzahl kollektiv auf freiwilliger Basis gegen Zahlung von Abfindungen zu reduzieren. Es handelt sich hierbei nicht um einen Sozialplan, sondern um eine Art „Freiwilligen-Programm“ außerhalb eines Kündigungsverfahrens.
Die kollektive Aufhebungsvereinbarung wird durch Abschluss einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Vertretern von einer oder mehreren Gewerkschaften festgelegt. Sie unterliegt der Genehmigung der Arbeitsaufsichtsbehörde. Geregelt werden bereits im Vorfeld die Modalitäten für das Ausscheiden der Mitarbeiter: Höchstzahl der geplanten Abgänge, Teilnahmevoraussetzungen, Berechnungsmodalitäten der Abfindung, Wiedereingliederungsmaßnahmen etc.
Die kollektive Aufhebungsvereinbarung bedarf der Genehmigung der Arbeitsaufsichtsbehörde.
IV. Aktuelle Rechtsfragen und künftige Entwicklungen
Obwohl die „Macron Tabelle“ durch das französische Oberverwaltungsgericht (Conseil d’Etat) und das französische Verfassungsgericht (Conseil Constitutionnel) für rechtmäßig und verfassungskonform erklärt worden sind, vertreten einige französische Arbeitsgerichte die Ansicht, eine Deckelung des Schadensersatzanspruchs für den Fall der ungerechtfertigten Kündigung verstoße gegen Art. 10 des Übereinkommens 158 der ILO und Art. 24 der Europäischen Sozialcharta sowie gegen Art. 6 der EMRK. Sie weigern sich daher, die „Macron Tabelle“ anzuwenden. Französische Gewerkschaften haben darüber hinaus Feststellungsbeschwerden vor dem Europäischen Ausschuss für soziale Rechte erhoben.
Die Arbeitsgerichte von Louviers und Toulouse haben die Frage der Vereinbarkeit der „Macron Tabelle“ mit internationalem Recht dem Kassationshof (Cour de Cassation) vorgelegt. Das Plenum des Kassationshofs hat am 17.7.2019 erklärt, dass die „Macron Tabelle“ sowohl mit europäischem als auch mit internationalem Recht vereinbar ist. Die Stellungnahme (avis) des Kassationshofes ist rechtlich nicht verbindlich. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die erstinstanzliche und die Berufungsgerichte nunmehr die „Macron Tabelle“ anwenden werden.